Oder: Wie deine Verdauung mit deinem vegetativen Nervensytsem zusammenhängt und du mehr Balance findest
Vielleicht hast du es schon am eigenen Leib gespürt, als auf der Arbeit viel los war, ein Umzug anstand oder du Ärger mit einem nahestehenden Menschen hattest; vielleicht liest du es auch immer wieder online: Entspannung ist wichtig für eine gut funktionierende, gesunde Verdauung. Ich würde noch einen Schritt weitergehen und betonen: Entspannung ist wichtig für alle Regenerationsprozesse im Körper. Doch woran liegt das? Dazu müssen wir uns zunächst unser Nervensystem und seine Aufgaben anschauen.
Unser Nervensystem
Unser Nervensystem hat die Aufgaben, Reize aus unserer Innenwelt und der Umwelt aufzunehmen und zu verarbeiten, sowie Steuerungssignale an die betreffenden Organe zu senden. Ein Teil ist das somatische Nervensystem, welches unsere Skelettmuskulatur und Sinnesorgane innerviert. Wenn wir unseren Arm heben, laufen, sehen und hören, ist dieser Teil beteiligt. Das vegetative Nervensystem steuert die Funktion von Organen und Drüsen (z.B. die Hormonproduktion). Es wird unterteilt in sympathisches Nervensytsem (Sympathikus) und parasympatisches Nervensystem (Parasympathikus). Auch das enterische Nervensystem (ENS), welches den gesamten Verdauungstrakt durchzieht und steuert, ist Teil des vegetativen Nervensystems. Sympathikus und Parasympathikus kann man sich als Gegenspieler vorstellen, ein bisschen wie Gas und Bremse, welche idealerweise größtenteils in Balance sind.
Sympathikus - Aktivität bei Gefahr
Vereinfacht gesagt, bereitet uns der Sympathikus in Gefahrensituationen auf Kampf oder Flucht vor. Die Blutgefäße werden verengt, damit die Muskeln schneller mit Sauerstoff versorgt werden; das Herz schlägt schneller; die Bronchien werden erweitert für eine erleichterte Atmung; die Pupillen weiten sich und die Blase entspannt sich (sodass wir keinen Harndrang spüren). Was fürs Überleben unwichtig ist, wird reduziert: die Produktion von Speichel, Magensäure, Galle und Verdauungsenzymen, sowie die Motilität im Verdauungstrakt. Eine kurzzeitige Aktivierung des Sympathikus hatte evolutionär Überlebensvorteile und kann auch heute noch hilfreich sein, wenn wir z.B. schnell zum Bus rennen, um ihn noch zu erwischen. Allerdings unterscheidet unser Nervensystem nicht zwischen körperlichen Gefahren und emotionalem Stress. Die anstehende Abgabefrist, die schier endlose To-Do-Liste, der Stau, der Thriller im Streaming Portal oder der Streit mit unseren Liebsten können den Sympathikus genauso aktivieren, wie "reale" körperliche Gefahren (z.B. Mountain biking, Klettern, Bungee Jumping, Fußball spielen, nachts allein draußen unterwegs sein, etc).
Parasympathikus - Regeneration
Der Parasympathikus verengt unsere Pupillen und Bronchien, senkt die Herzfrequenz, kontrahiert die Harnblase und stimuliert die Produktion von Speichel, Magensäure, Galle und Verdauungsenzymen, sowie die Motilität (Muskelbewegungen) im Verdauungstrakt. Hat der Parasymptikus die Oberhand läuft die Verdauung, arbeitet das Immunsystem und Regenerationsprozesse finden statt. Im Englischen wird dieser Modus auch rest&digest genannt. Ein aktivierter Parasympathikus sollte also eher unser Grundmodus als die Ausnahme sein. Bei vielen Menschen ist jedoch der Sympathikus im Alltag länger und häufiger dominant, sodass die regenerativen Prozesse zu kurz kommen. Besonders deutlich ist das im Verdauungstrakt zu spüren, wenn eine:m das Essen schwer im Magen liegt, Blähungen und Bauchschmerzen auftreten und der Stuhlgang nicht richtig funktioniert. Bei anderen zeigen sich Stresssymptome - ein überaktiver Sympathikus - eher durch Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Tinnitus, Heißhungerattacken, hormonelle Dysbalancen, Gereizheit oder Stimmungsschwankungen. Wir sind eben alle unterschiedlich.
Den Parasympathikus bewusst aktivieren
Jetzt weißt du zwar, warum der Parasympathikus so wichtig für eine funktionierende Verdauung ist. Doch wie lässt er sich häufiger im Alltag aktivieren? Vieles, was sich gut anfühlt, aktiviert auch den Parasympathikus: z.B. kuscheln mit einem lieben Menschen oder Haustier, Singen, Summen, ein warmes Bad, (Yin) Yoga, Meditation, Qi Gong, Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen, Lachen, Atemübungen, Massagen und Spaziergänge in der Natur. Auch die bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Stressoren kann helfen, einen besseren Umgang mit ihnen zu finden, z.B. beim Journaling, in Gesprächen mit Freund:innen oder beim Coaching/ in einer Therapie. Es kommt also - wie immer - auf die Balance an: wir brauchen sowohl kurzfristige Strategien, um den Parasympatikus zu aktivieren bzw. Stress herunterzufahren. Dazu zählen neben den oben genannten vor allem Bewegung, denn dadurch werden Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin schneller abgebaut. Auch eine Runde ins Kissen schreien kann hier helfen. :-)
Andererseits brauchen wir auch langfristige Strategien, da Stress nun mal zum Leben dazugehört. Es ist daher wichtig, Pausen im Alltag einzuplanen und sich genug Zeit für Mahlzeiten zu nehmen. Auch guter Schlaf ist wichtig für ein ausgeglichenes Nervensystem und eine gesunde Verdauung. Idealerweise solltest du 8-9h Schlaf bekommen und möglichst zur gleichen Uhrzeit ins Bett gehen. Besonders wenn viel los ist, ist Prioritäten setzen hilfreich. Welche Menschen, Ziele, Aktivitäten sind für dich im Moment und langfristig wirklich wichtig? Was kannst du verschieben oder vielleicht auch ganz lassen?
Das vegetative Nervensystem in Balance zu bringen und zu halten ist ein lebenslanger Prozess. Es geht also weniger um eine kurze Kur als einen ausgewogenen Lebensstil, der uns mit Gesundheit und Resilienz belohnt.
Comentarios